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Okular ADC

Atmospheric Dispersion Corrector umsonst

Es ist ja nun wirklich keine Seltenheit, dass Menschen, die gerade einen Haufen Kohle für eine ganz besonders neue technische Errungenschaft rausgehauen haben, nicht nur etwas belämmert drein schauen, sondern geradezu zu geistiger Höchstform auflaufen, um abzustreiten, dass anstelle der kostspieligen Investition einfach nur der geschickte Einsatz deutlich günstigeren Equipments stehen kann. Der Okular-ADC ist definitiv so ein Fall.

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Saturn am 26.8.2019 gegen 22:13 Uhr, nur 16° über dem Horizont und entsprechend mit
deutlicher atmosphärischer Dispersion

Wie so oft bei optischem Equipment geht es darum, einen Abbildungsfehler zu eliminieren, indem man mit einem optischen Element einen genau umgekehrten Bildfehler einführt. Gelingt dies, werden sich beide Fehler gegenseitig eliminieren, hoffentlich ohne neue Fehler ins System einzuführen.
Das beschreibt nun genau das Prinzip eines sogenannten Atmospheric Dispersion Corrector, kurz ADC. Ziel eines ADC ist es, einen durch die Erdatmosphäre erzeugten Farbversatz zu eliminieren. Je näher ein Himmelsobjekt am Horizont steht, desto stärker wird sein Licht durch die Erdatmosphöre gebrochen. Blaues Licht wird dabei stärker gebrochen, als rotes Licht, so dass das Licht eines Sterns zu einem Regenbogen aufgespalten wird. Es ist dieser Effekt, der bewirkt, dass beim Sonnenuntergang der letzte Zipfel Sonnenscheibe grünlich gefärbt erscheint, ein Phänomen, was als grüner Blitz bekannt ist und nur bei ruhiger Luft deutlich erkennbar ist. Beobachter am Teleskop bemerken stattdessen diesen leichten Farbversatz, wenn der Mond oder einer der hellen Planeten - Merkur, Venus, Mars, Jupiter und auch Saturn - recht nah am Horizont steht. Je mehr Vergrößerung das Teleskop erlaubt, desto eher lässt sich der Effekt auch bei größerem Abstand zum Horizont beobachten.

Was tut der ADC?

Ein ADC besteht nun aus einem Prismensatz, der die Lichtbrechung der Atmosphäre quasi entgegengesetzt erzeugt, was wie oben beschrieben einen entgegengesetzten Farbversatz bewirkt, der das Bild wieder „richtig zusammenrückt“. Dazu sind die Prismen einstellbar. Bei einfachen ADCs werden einfach zwei keilförmige Prismen gegeneinander verdreht. Ihre Keilform erzeugt dann aber auch Bildfehler, die besonders an Teleskopen mit großem Öffnungsverhältnis zutage treten. Zum Glück haben ausgesprochene Planetenteleskope aber eher kleine Öffnungsverhältnisse wie f/15. Trotzdem gibt es ADC-Modelle, deren Prismen keine solchen Fehler einführen. Diese Prismen sind nämlich nicht keilförmig, sondern es handelt sich vielmehr um sogenannte Dispersionsplatten. Diese Dispersionsplatten bestehen im Prinzip aus jeweils zwei Prismen aus leicht unterschiedlichem Glas, die mit Optik-Harz so verkittet sind, dass die beiden Keile zu einer genau glatten Platte zusammengefügt sind. Man kann sich vorstellen, dass hierzu zwei gut aufeinander abgestimmte Glassorten ausgesucht werden und nach einem ganz exakten Schliff auch genau passend miteinander verkittet werden müssen. ADCs, die mit Dispersionsplatten funktionieren, kosten daher nicht 150 Euro wie ein einfacher ADC, sondern je nach Modell 2000 bis 5000 Euro.

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Ein einfacher ADC mit keilförmigen Prismen im fotografischen Einsatz am 5” f/15 Mak.
Astrofotografen mit RGB-Kameras kommen bei tiefem Planetenstand kaum um einen ADC herum.

Wie ärgerlich, wenn man auch ohne ein derart teures Zubehörteil auskommen kann - und das ist für einen visuellen Planetenbeobachter weder zu hoch gegriffen, noch eine wirklich neue Technik. Es ist vielmehr etwas, das viele Planetenbeobachter schon lange bewusst oder unbewusst tun. Denn was ein ADC auf recht teurem Wege mit Absicht tut, tun fast alle Okulare mehr oder weniger aus Versehen.
Wer sich mit Okularen und ihren Abbildungsfehlern auseinandersetzt, wird dem Begriff „lateraler Farbe“ begegnen. Bei diesem Abbildungsfehler geschieht es, dass die Vergrößerung für rotes und blaues Licht leicht unterschiedlich ist. Es kommt dabei auf das Okular an, ob blaues Licht oder rotes Licht stärker vergrößert wird. Ein ausreichend heller und weißer Stern, der in der Bildmitte perfekt aussieht, kann sich zum Bildrand verschoben in einen kleinen Streifen aus Regenbogenfarben verwandeln. Auch hier wird also rotes Licht gegenüber blauem Licht etwas versetzt. Genau der gesuchte Effekt, um die atmosphärische Dispersion auszugleichen.

Welche Okulare eignen sich als Okular-ADC?

Um festzustellen, ob ein Okular laterale Farbe zeigt, sollte man einen ausreichend hellen und hoch stehenden, weißen Stern betrachten und diesen durch das Bildfeld laufen lassen. Im Sommer beispielsweise Vega, in den Wintermonaten eher Algol oder die Plejaden. Bei den meisten Weitwinkelokularen entwickelt sich zum Bildrand hin der besagte Regenbogen. Es ist übrigens nicht zwingend notwendig, dass ein Okular, bei dem der Rand des Bildfeldes bei Tagbeobachtung "bunt abgeschnitten" wird, auch viel laterale Farbe zeigt. Der Grund dafür ist recht einfach. Ein bunter Farbsaum am Bildrand spricht für laterale Farbe auf Höhe der Feldblende, die den im Okular sichtbaren Bildausschnitt begrenzt. Diese Feldblende liegt aber bei vielen heutigen Okularen im unteren Teil des Linsensystems, was bedeutet, dass die im Bereich der Feldblende auftretende Laterale Farbe noch von den darauffolgenden Linsen kompensiert werden kann. Und wenn das sehr gut gelingt, hat man womöglich ein Okular ohne sichtbare laterale Farbe - was für diese Idee tatsächlich nicht verwendbar ist.

Jupiter_2019_08_24_ca70mmII
Jupiter am 24.8.2019, aufgenommen ohne ADC,
einmal ohne und einmal mit automatischer RGB-Korrektur durch die Stacking-Software.
Der Detailgewinn bei visueller Beobachtung ist ungleich größer.

Natürlich kann man an die Okular-ADC-Idee sehr systematisch - um nicht zu sagen pedantisch - herangehen, und seine Okulare bezüglich Ausrichtung und Ausmaß lateraler Farbe vermessen. Das ist aber gar nicht nötig. Wer grundsätzlich darauf achtet, in welchen Bereichen des Bildfelds ein Planet die beste Abbildung zeigt, wer auch bemerkt, ob es einen Unterschied in der Bildqualität macht, wenn man den optimalen Fokus mit Rechts- oder Linksdrehung des Fokussierers ansteuert, der hat womöglich schon immer intuitiv vom Okular-ADC Gebrauch gemacht. Ähnlich intuitiv kann das jeder tun. Bemerkt man in der Bildmitte den tpyischen Farbrand der astmosphärischen Dispersion, dann schiebt man einfach das Beobachtungsobjekt langsam z.B. in Richtung auf den roten Rand zu und beobachtet, ob der Farbrand kräftiger oder schwächer wird. Wird der Farbrand stärker, ist die entgegengesetzte Richtung die richtige. Bei manchen Okularen passiert auch erst nah am Rand des Gesichtsfeld etwas. Man muss dann beurteilen, ob die Randabbildung der Kombination aus Okular und Teleskop soviel schlechter ist, dass man mit dem ADC-Effekt keinen Gewinn mehr erzielt, oder ob sich eben ein solcher Gewinn einstellt. Sternfreunde, die Wert auf eine gute Randabbildung ihrer Weitwinkel-Okulare legen, haben hier bessere Erfolgsaussichten. Aber selbst bei einigen 45° Okularen lässt sich ein positiver Effekt feststellen.

Praktisch einfach ausprobieren!

Dadurch, dass die laterale Farbe im Okular natürlich eine radiale Ausrichtung hat, der Versatz der Farben also in Ringform um die Bildmitte orientiert ist, während die atmosphärische Dispersion für einen Versatz in Ringform um den Zenit sorgt, wäre es gar nicht so gut, wenn ein Okular derart starke laterale Farbe entwickelt, dass man den beobachteten Planeten nur wenig neben der Bildmitte positionieren muss. Denn dann würde auffallen, dass die im Bild praktisch parallele Ausrichtung der atmosphärischen Dispersion nicht gut zur radialen Ausrichtung der lateralen Farbe passt. In der Praxis aber - weil eine so schlecht korrigierte laterale Farbe für Käufer ohnehin kaum akzeptabel wäre - braucht man genügend Versatz aus der Mitte, so dass dies keine Rolle mehr spielt. Der Bereich, in dem die Dispersion vom Okular ideal kompensiert wird, ist somit aber nicht besonders groß. Etwa 10° bis 20° des scheinbaren Gesichtsfelds. Ein Vorteil eines “echten” ADCs, der nach korrekter Einstellung natürlich das gesamte Bildfeld passend korrigiert. Ein Vorteil des Okular-ADCs ist allerdings, dass man gerade bei motorisch nachgeführten Teleskopen in aller Ruhe den idealen Bildbereich aussuchen kann, während bei der Einstellung selbst teurer ADCs immer eine Berührung des Geräts mit entsprechendem Wackeln stört. Nutzt man also den ADC-Effekt des Okulars, kann man ganz intuitiv  den Teil des Bildfelds nutzen, in dem man die beste Abbildung einfach sieht, gegebenenfalls nach minimalem Nachfokussieren. Eine Diskussion, ob einer fehlerhafte Randabbildung einen Vorteil egalisiert, erübrigt sich, da man dies ja bei der Positionierung des Beobachtungsobjekts sofort sieht.

PentaxXLXW
Normalerweise ist es ja kein Blumenstrauß, einem Okular einen gut ausgeprägten Bildfehler zu bescheinigen. Bei den Pentax XL und XW Okularen aber ist die Kombination aus etwas lateraler Farbe und ansonsten guter Abbildung sehr nützlich.

Dazu befragt, bestätigt so mancher alte Hase diese Praxis als Gang und gebe. Es scheint nur bei der „Generation Online" einfach Usus zu sein, zuweilen ein Rad neu zu erfinden, und manche Räder lieber eckig zu lassen. Das sei jedem belassen, der es nicht schafft, Jupiter um zwei, drei Bogenminuten nach oben oder unten zu schieben. Vielleicht auch zuviel verlangt, wenn 318 Erdmassen mit einem Dispersions-Platten in der Bildmitte festsitzen.
Allen Experimentierfreudigen seien hingegen ein paar Praxis-Tipps mitgegeben. Ausgesprochen gut lässt sich der Effekt mit Pentax XW und XL ausnutzen. Probiert wurden dazu XW 3,5. XW 5, XL 5,2, XL 7 und XL 10,5.  Auch ein TeleVue Delos 3,5mm ließ sich erfolgreich verwenden, der benötigte Versatz ist aber recht groß - kein Problem, da das Okular selbst an f/4 eine hervorragende Abbildung im ganzen Feld hat - an solchen Newtons empfiehlt sich aber ein Komakorrektor. Beim Delos gehört der Planet übrigens in genau entgegengesetzter Richtung versetzt. Das gilt auch für das Vixen HR 3,4, in dessen kleinem Feld man schon recht nah an den Rand heran muss. Ebenfalls erfolgreich getestet wurde das TeleVue Plössl 11mm. Keinen Erfolg gab es mit einem Vixen SSW 5mm, einem Baader Eudiascopic 15mm (mit f/15 Maks), die beide praktisch keine laterale Farbe zeigen. Ein anderes Gegenbeispiel ist das 18mm Meade SWA Serie 4000, dessen Randabbildung selbst am genügsamen f/15-Mak zu stark einbricht. Aber im Grunde sollte man vor allem bei der nächsten Beobachtung mit dem Lieblings-Planetenokular einfach mal drauf achten. Jupiter und Saturn stehen in diesen Jahren* tief, da ist atmosphärische Dispersion auch in kleinen Geräten kaum zu übersehen.
 

*) Geschrieben 7/2021

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